Umsatzsteuerforderung aus Zeit der vorläufigen Eigenverwaltung ist keine Masseverbindlichkeit

Leipzig
03.09.2019

Leipzig, 3.9.2019 - Das Finanzgericht Münster hat entschieden, dass das Finanzamt eine Umsatzsteuerforderung aus dem Zeitraum des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nicht als Masseverbindlichkeit festsetzen darf, sondern es sich hierbei vielmehr um eine einfache Insolvenzforderung handelt (FG Münster, Urteil vom 12.03.2019 - 15 K 1535/18). Diese Frage war bis dahin in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung unentschieden.

Im zugrundeliegenden Fall hatte eine GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung beantragt, und der Kläger wurde zunächst zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens focht der Kläger, nunmehr als Insolvenzverwalter, eine geleistete Umsatzsteuervorauszahlung erfolgreich an. Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuerforderung hierauf als Masseverbindlichkeit fest und meldete sie zugleich auch als Insolvenzforderung an. Gegen die Festsetzung als Masseverbindlichkeit richtet sich die Klage. Das Gericht gab dieser vollumfänglich statt. 

Nach Auffassung des Finanzgerichts begründet ein Schuldner im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung nicht ausschließlich Masseverbindlichkeiten. Es sei hier der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 22.11.2018 - IX ZR 167/16) zu folgen. Eine ausschließliche Begründung von Masseverbindlichkeiten würde zur Masseauszehrung führen und damit „der weiteren Betriebsfortführung und Sanierung als den obersten Zielen des Insolvenzverfahrens (§ 1 Satz 1 InsO) zuwiderlaufen“. Auch spreche die Spezialregelung des § 270 b Abs. 3 S. 1 InsO, nach welcher im Schutzschirmverfahren als besonderem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren, Masseverbindlichkeiten auf richterliche Anordnung begründet werden können, gegen die Annahme der Begründung ausschließlich von Masseverbindlichkeiten.

Überdies lägen auch die Voraussetzungen für eine Qualifikation der streitigen Umsatzsteuerforderungen als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO und § 55 Abs. 4 InsO nicht vor. 

Gem. § 55 Abs. 2 InsO sind alle Verbindlichkeiten, die ein sogenannter „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter (also ein vorläufiger Verwalter, auf den die Verfügungsbefugnis übergegangen ist) begründet, Masseverbindlichkeiten. Ebensolche sind gem. § 55 Abs. 4 InsO (ausschließlich) Steuerverbindlichkeiten, die von einem sogenannten „schwachen“ vorläufigen Verwalter (ohne Verfügungsbefugnis, aber mit Zustimmungsvorbehalt) oder dem Schuldner selbst begründet werden.

Die unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften scheitere, so das FG Münster, bereits daran, dass diese tatbestandlich die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters voraussetzen, was im Falle der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nicht erfüllt sei.

Auch komme die analoge Anwendung dieser Vorschriften nicht in Betracht, da es in beiden Fällen an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. 

Dass der Gesetzgeber in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO die Entscheidung getroffen habe, bereits den vorläufigen Sachwalter mit den Befugnissen des späteren Sachwalters außerhalb des Eröffnungsverfahrens gleichzustellen, lasse keine Rückschlüsse für die Ebene des Schuldners zu. Die Möglichkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten im Schutzschirmverfahren im Rahmen einer gerichtlichen Anordnung gem. § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO lasse nicht den Schluss zu, dass auch der Schuldner im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung - ohne gerichtliche Anordnung - im Stande sein soll, nach § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten zu begründen.

Hinsichtlich § 55 Abs. 4 InsO ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren die Ausweitung dessen Anwendungsbereichs auf im Rahmen eine vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270 a InsO erwogen, jedoch verworfen worden sei.  Auch fehle es an der Vergleichbarkeit von im Rahmen einer vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeten Steuerverbindlichkeiten mit solchen aus einem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren. Durch die Rechtsprechung des BFH sei geklärt, dass Verbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 4 InsO vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet werden; Verbindlichkeiten, die allein vom Schuldner begründet werden und nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters stehen, seien demgegenüber nicht erfasst (BFH-Urteil vom 24.9.2014 V R 48/13, BFHE 247, 460). Auch unter verfassungs- und EU-rechtlicher Betrachtung sei keine andere Wertung veranlasst. 

Das Urteil ist zu begrüßen, da es der gesetzlichen Konzeption und dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers gerecht wird. Insbesondere einer Ausweitung des Anwendungsbereichs des, ohnehin kaum mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu vereinbarenden, § 55 Abs. 4 InsO hat das FG Münster zu recht eine deutliche Abfuhr erteilt. Durchaus im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsprechung legt das Gericht seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BGH zugrunde.

Das FG hat die Revision zugelassen, die zwischenzeitlich auch beim V. Senat  des Bundesfinanzhofs (BFH) anhängig gemacht worden ist (V R 14/19). Es bleibt zu hoffen, dass das Urteil vor dem BFH Bestand haben wird.

Thomas Reichelt, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter