Sanierung ohne Insolvenzverfahren?

Braucht die Praxis ein neues präventives Restrukturierungsverfahren?

Nachdem das deutsche Insolvenzrecht erst 2012 umfassend durch das ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) reformiert wurde, soll nun durch eine Initiative der EU-Kommission ein neuer präventiver Restrukturierungsrahmen eingeführt werden. Die EU-Kommission hat am 22.11.2016 einen Richtlinienentwurf („RLE“) über die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren veröffentlicht, wonach das gesamte europäische Insolvenzrecht einer tiefgreifenden Reform unterzogen werden soll. Nach dem Richtlinienvorschlag soll nämlich auf europäischer Ebene das zum großen Teil stark voneinander abweichende nationale Insolvenzrecht harmonisiert werden. Insbesondere soll die Restrukturierung von Unternehmen durch die Einführung eines sogenannten präventiven Restrukturierungsverfahrens vereinfacht und zeitlich vorverlagert werden.

Ziel dieses präventiven Restrukturierungsverfahrens ist die effiziente Förderung von Sanie rungen wirtschaftlich existenzfähiger Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten. Hierzu sollen „Hindernisse abgebaut werden, die dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes entgegenstehen“.

Mit ihrem Regulierungsvorhaben zwingt die EUKommission die deutsche Regierung, ihr Restrukturierungsrecht anzupassen. Noch liegt die Richtlinie lediglich als Entwurf vor und zahlreiche Verbände haben zum Teil umfassende Stellungnahmen bei der Kommission eingereicht, um eine Abänderung und Flexibilisierung des Entwurfs zu erreichen. Dies aus gutem Grund. Als nämlich im März 2012 das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eingeführt wurde, das mit dem Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) und der Möglichkeit der Eigenverwaltung (§ 270a InsO) zwei neue Sanierungsverfahren ermöglichte bzw. erleichterte, hatte sich die Regierung noch gegen ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren entschieden, da die Insolvenzordnung den Schutz der Gläubigerrechte neben das Primat der 2. Chance in den Vordergrund gestellt hat. Im Ergebnis sind damit die Restrukturierungsmöglichkeiten von Unternehmen innerhalb der InsO deutlich erleichtert worden.

Ein Vergleich mit Sanierungs- bzw. Insolvenzordnungen anderer europäischer Staaten zeigt deutlich, dass Deutschland mit dem ESUG ein sehr gut funktionierendes Restrukturierungsrecht eingeführt hat. Dies unterstreicht auch eine Studie der Weltbank „Doing Business 2017 - Equal Opportunity for All“ vom 25. Oktober 2016, wonach Deutschland weltweit im Bereich von Unternehmensinsolvenzen auf Platz 3 von 190 Staaten landet. Damit wird deutlich, dass Deutschland eines der besten Insolvenzrechte weltweit besitzt.

Sollte allerdings der jetzt vorliegende Entwurf - wie angekündigt - bereits Ende 2017 als EU-Richtlinie verabschiedet werden, wäre auch der deutsche Gesetzgeber zur Einführung einer neuen Regelung innerhalb einer Zweijahresfrist gezwungen.

Mit der kommenden EU-Richtlinie hat die Kommission einen schlechten Zeitpunkt gewählt. Deutschland hat mit den durch das ESUG zum 01.03.2012 eingeführten Regelungen bereits eine umfassende Reform des Restrukturierungsrechts vorgenommen und die seitens der EU-Kommission beabsichtigten Prinzipien - bis auf eine minimale Gerichtsbeteiligung und den Schutz neuer Finanzierungen – alle schon lange erfüllt. So ist u.a. die Restrukturierung in einer frühen Phase mit dem Schutzschirmverfahren möglich. Dissentierende Gläubiger können über den Insolvenzplan gebunden werden und die Möglichkeit der Eigenverwaltung gibt es ebenso wie ein Moratorium.

Daher bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission noch erhebliche Detail- und Harmonisierungsarbeit vornimmt, um die seit Einführung des ESUG erzielten Fortschritte nicht zu gefährden. Bevor die EU-Kommission Deutschland zu einer grundlegend veränderten Restrukturierungskultur zwingt, sollte dem nationalen Gesetzgeber die Gelegenheit zur Evaluation der bestehenden Regelungen gegeben werden. Auf dieser Grundlage könnten und sollten die „ESUG-Regelungen“ reformiert und bereits erkannte Schwachstellen ausgebessert werden, wie zum Beispiel bei der Aufhebung der Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans.

Fazit: Erstens ist der bereits mit dem ESUG eingeleitete Kulturwandel in der Sanierung von Unternehmen weiter zu fördern und zweitens sind die bestehenden (ESUG-) Regelungen im Bewusstsein deutscher Unternehmer zu verankern. Aktuelle Studien beweisen, dass noch immer viel Unkenntnis bei den betroffenen Unternehmern über die bestehenden insolvenzrechtlichen Sanierungschancen vorherrscht: bereits nach geltendem nationalen Recht sind Sanierungsverfahren jedoch planbar, transparent und anfallende Kosten kalkulierbar.

Sollte diese Aufklärung gelingen, werden Unternehmer ihre „2. Chance“ auch deutlich früher als bisher ergreifen.

von Volker Reinhardt
Quelle: Handelsblatt (Mai 2017)