Sanierung unter Insolvenzschutz

Erfurt
03.05.2016

Volker Reinhardt im Gespräch mit der Handelsblatt Redaktion zum Thema "Sanierung unter Insolvenzschutz"

Obwohl sich die Automobilindustrie in den letzten Jahren auf Rekordfahrt befindet, stehen ihr doch radikale Veränderungen bevor. Digitalisierung, Vernetzung und Industrie 4.0 weisen den Weg zu einer neuen, anderen Automobilität, die die bisherigen Geschäftsmodelle und konstitutiven Elemente der Automobilindustrie ablösen könnte. Machen sich diese Umbrüche bereits in Ihrer Restrukturierungspraxis bemerkbar, Herr Reinhardt? 

Volker Reinhardt: Wir sehen bereits heute, dass aus dem klassischen Fortbewegungsmittel mehr und mehr ein fahrender Computer bzw. ein fahrendes Smartphone wird. Techniken und Technologien, die vor einigen Jahren noch fremd im Auto waren, entscheiden mehr und mehr über Verkaufserfolg und Marktanteile. Der Druck, Emissionen zu verringern, steigt nicht erst seit dem VW-Abgasskandal. Noch hat sich jedoch ein emissionsarmer oder –freier Antrieb nicht durchgesetzt und auch die notwendige Infrastruktur besteht vielfach nur in den Köpfen der Ingenieure. Dies ist eine besondere Herausforderung für die Automobilindustrie, in der neue Produkte und neue Modelle einen Vorlauf von mehreren Jahren haben. 

Die Zulieferer müssen ihre Strategien und Geschäftsmodelle daher ständig weiterentwickeln und ihre Organisationen und Prozesse entsprechend anpassen. Erfolgt dies zu spät, ist in manchen Fällen gar eine Restrukturierung und tiefgreifende Sanierung des Unternehmens notwendig, um dessen Fortbestand zu sichern. 

Mit welchen Problemlagen sind Sie bisher konfrontiert worden? 

Volker Reinhardt: Einerseits führt der Zwang zur Kosten- und Investitionsoptimierung und der Aufbau neuer E-Mobility-Geschäftsmodelle zu neuen Konstellationen und projektbasierten Modellen der Zusammenarbeit zwischen OEMs, Erstausrüstern und branchenfremden Unternehmen. Damit einher geht aber auch eine weitere Konzentration der Marktteilnehmer durch strategische Übernahmen, Bildung von Allianzen und joint ventures. Die Automobilindustrie geht zudem auch vermehrt auf Partnersuche in anderen Industriezweigen, z.B. für die Herstellung von langlebigen Batterien und die Vernetzung des Autos. Andererseits überfordert der Veränderungszwang aber diejenigen Zulieferbetriebe, deren Eigenkapital infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise maßgeblich geschwächt wurde und deren Liquidität nahezu aufgezehrt ist. Die Bilanzrelationen solcher Unternehmen führen in der Regel zu einem schlechten Rating, sodass ihnen trotz der Politik des „quantitative easing“ der EZB der Zugang zu den Finanzmärkten zusätzlich erschwert wird. Auf der Strecke bleiben bei diesem Veränderungsprozess deshalb insbesondere Lieferanten im Bereich der second und third tier supplier oder dem aftermarket, also in Bereichen mit geringer Technologieintensität oder Bereichen in denen keine Innovationen (z.B. Ersatzteilemarkt) stattfinden. Hier kommt es bereits aufgrund falscher oder fehlender Strategien verstärkt zu Liquiditätskrisen und Restrukturierungs- und Insolvenzfällen. 

Wie gehen Sie an einen Fall heran? 

Volker Reinhardt: Jeder Fall eines in Bedrängnis geratenen Zulieferers ist individuell und in manchen Fällen können oder sollten Insolvenzen nicht verhindert werden. Außergerichtliche Restrukturierungen sind nach meinen Erfahrungen auch keineswegs die billigere und bessere Alternative für alle betroffenen Anspruchs- und Interessensgruppen (Stakeholder). Denn der Gesetzgeber hat mit Einführung des ESUG zum 01.03.2012 wesentliche Erleichterungen für eine Sanierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens eingeführt. 

Wie entscheiden Sie, ob eine Restrukturierung oder Sanierung möglich ist und ab wann tritt eine Insolvenz auf den Plan? 

Volker Reinhardt: Bereits mit Einführung der Insolvenzordnung zum 01.01.1999 und mit den erwähnten Erleichterungen des ESUG ab dem 01.03.2012 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass in den Begriffen Insolvenz und Sanierung keine Gegensätze bestehen, sondern die Fortführung und der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens im Vordergrund der InsO stehen. Durch das zunehmende Single Sourcing der Einkaufsabteilungen, die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten und die Werkzeug- und Rüstkosten werden die Zulieferer immer weniger austauschbar. Angesichts der Gefahr von Bandstillständen und den ansonsten drohenden Verlagerungskosten für die Werkzeuge setzt sich auch in der Automobilindustrie die Unterstützung der OEM bei der Sanierung von Lieferanten immer weiter durch, sodass sich nach meiner Beobachtung inzwischen eine ausgeprägte Sanierungspraxis unter dem Schutz eines Insolvenzverfahrens etabliert hat. 

Bietet der Gesetzgeber mit dem ESUG neue Möglichkeiten einer Sanierung? 

Volker Reinhardt: Mit dem ESUG hat Deutschland nach Ansicht der Weltbank eine der besten und sanierungsfreundlichsten Insolvenzordnungen eingeführt und führt die InsO im internationalen Vergleich auf Platz 2 der Rankingliste. Insbesondere mit der Ausgestaltung von Eigenverwaltungs- und/oder Schutzschirmverfahren nach §§ 270 a, b InsO wurden wesentliche Erleichterungen zur Sanierung von Unternehmen eingeführt. Verbunden mit den weiteren Möglichkeiten der InsO (z.B. Lossagen von Altverträgen, erleichterte Kündigungsmöglichkeiten) und der Möglichkeit des Bezugs von Insolvenzgeld für längstens 3 Monate, ist die InsO sogar dem chapter 11, der US-amerikanischen Vorlage, in weiten Teilen überlegen. Zugleich wurden die Regelungen zu Insolvenzplänen vereinfacht, sodass es nunmehr in vielen Fällen gelingt in Abstimmung mit den Gläubigern Unternehmen fortzuführen und zu erhalten. 

Können Sie ein paar Beispiele anführen? 

Volker Reinhardt: Aus meiner eigenen Praxis als Insolvenzverwalter kann ich von Lieferanten aus dem Automobilbereich berichten, die im Rahmen von sog. Insolvenzplanverfahren restrukturiert wurden. Beispielsweise konnte so der Automobilzulieferer KWO Kunststoffteile GmbH aus der Nähe von Heilbronn mithilfe der Gläubigerbanken, die eine Neukreditierung in Millionenhöhe nach Annahme des Insolvenzplans vornahmen, sowie des Hauptkunden, eines first tier, der den Neuanfang durch Abschluss einer Sanierungsvereinbarung unterstützte, saniert werden. 

Unter welchen Bedingungen gelingt i.d.R. eine Unternehmensfortführung? 

Volker Reinhardt: Erfahrungsgemäß sind zwei Begriffe maßgeblich: Transparenz und Konsistenz. Die Restrukturierung eines Unternehmens unter dem Schutz der Insolvenzordnung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Stakeholder und insbesondere die Kunden und Lieferanten in größtmöglichem Umfang zu einem frühen Zeitpunkt in das Verfahren einbezogen werden. Insbesondere die Einsetzung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses führt in einem hohen Maße zur Bildung einer Vertrauensbasis in die Fortführung des Unternehmens. In diesem Zusammenhang ist die Konsistenz der betrieblichen Zahlen eine weitere Voraussetzung für das Gelingen des Restrukturierungsprozesses. 

Was sind die wesentlichen Aspekte für einen Sanierungserfolg? 

Volker Reinhardt: Die Basis eines nachhaltigen Turnarounds ist stets das Management des Zulieferers. Nur ein Management, dem alle Stakeholder das Vertrauen, die Fähigkeit und die Kompetenz zur Durchführung einer nachhaltigen Restrukturierung aussprechen, kann die Zustimmung aller Betroff enen zur Durchführung eines Restrukturierungsverfahrens unter dem Schutz der Insolvenz fi nden, bei dem die Lasten auf alle Stakeholder fair und verträglich verteilt werden. 

Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Verfahrens ist aber die professionelle Vorbereitung und Durchführung, denn das Verfahren birgt auch einige Fallstricke. Richtig angegangen und angewandt, bietet es jedoch eine überragende Chance für den Unternehmer, sein Unternehmen zu erhalten, es von der Schuldenlast zu befreien und mit einem Neustart in die Zukunft zu gehen. 

Was raten Sie Unternehmen der Automobilindustrie bei den ersten Anzeichen einer Krise? 

Volker Reinhardt: Ein wesentlicher Faktor der Restrukturierung in der Krise ist der Zeitfaktor. Deshalb kann allen Unternehmern nur angeraten werden, bereits bei den ersten Anzeichen einer Krise zu reagieren und alternative Konzepte mit professioneller Hilfe zu entwickeln. Während im Geltungsbereich des chapter 11 dessen Möglichkeiten oftmals als strategische Option gesehen werden, verhindert hierzulande die Scheu vor dem Gang zum Insolvenzgericht und die Unkenntnis der Sanierungsmöglichkeiten nach dem ESUG ein rechtzeitiges Reagieren. Je früher in einer Krise jedoch die Weichen gestellt werden, umso erfolgreicher kann eine Sanierung unter dem Schutz der Insolvenz gelingen.